Hospiz: Sterbebegleiter im Ehrenamt

Warum Hospizarbeit? – Mein Video

Ich arbeite als ehrenamtlicher Hospizhelfer im Diakonie Hospiz Berlin-Wannsee, Warum bin ich Sterbebegleiter geworden? Was heißt das konkret? Warum ist diese Arbeit so wichtig – für Menschen am Lebensende, aber auch für mich selbst? Das hat mich Sike Fischer, die Direktorin von „Märchenland e.V.“ in einem Video-Interview gefragt. Der Verein veranstaltet jährlich die „Berliner Märchentage“. Deren 33. Ausgabe hat das Thema „Abschied und Wiederkehr – Märchen und Geschichten von Leben und Tod.“ Das Interview fand im Rahmen eines Online-Symposiums zu diesem Thema statt.

Silke Fischer und Ingo Kahle

Foto: Kahle

Silke Fischer, Märchenland, und Ingo Kahle bei der
Aufzeichnung des Videos in einem Berliner Garten.

Ein wichtiges Ehrenamt

Wir Hospizhelfer begleiten Menschen auf einem Weg, den ihnen eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit vorzeichnet. Ehrenamtliche gibt es auf Palliativstationen der Krankenhäuser, in stationären Hospizen und manche arbeiten auch ambulant, besuchen also Menschen in ihrer häuslichen Umgebung. Ich arbeite sowohl im stationären Hospiz als auch im ambulanten Dienst des  Diakonie-Hospizes Berlin-Wannsee. Es ist eine Aufgabe, bei der man spürt, wie wichtig diese Arbeit für diese Menschen am Lebensende ist. Wir begleiten bis zuletzt Leben. Lebensgeschichten, Lebensbilanzen zu erfahren, das ist es, was diese Arbeit bewegend und spannend macht. Dem Sterben, dem Tod begegnete ich bislang ehr selten. In jedem Fall ist dieses Ehrenamt etwas, das mich für mein Leben stärkt.

Sterbebegleiter werden

Zwei Jahre nach meinem Ausscheiden aus dem rbb im Jahre 2016 habe ich die für ehrenamtliche Hospizhelfer notwendige, mehr als 100-stündige Ausbildung durchlaufen – im Friederike-Fliedner-Hospiz des Evangelischen Johannesstiftes in Berlin-Wedding. Abschluss im  November 2018 mit dem Erhalt des für ehrenamtliche Hospizhelfer erforderlichen Zertifikates.

Hier die Ausbildungsinhalte.

Die Ausbildungs zum ehrenamtlichen Hospizhelfer (Zertifikat) absolvierte ich im Friederike-Fliedner-Hospiz des Evangelischen Johannesstiftes in der Reinickendorfer Straße 61 in Berlin-Wedding. Der ca. 100-stündige Kurs unter der Leitung von Nadine Fröde und Peter Anhalt enthielt folgende Inhalte.

  • Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, Sterblichkeit und den persönlichen Erfahrungen mit Sterben, Tod und Trauer
  • Bedürfnisse sterbender Menschen
  • Rolle als Sterbebegleiter, Nähe und Distanz
  • Selbstfürsorge (z.B. Kraftquellen), Umgang mit den eigenen Grenzen
  • Kommunikation mit sterbenden Menschen und ihren Angehörigen
  • Spiritualität in der Sterbebegleitung
  • Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross
  • Die vielen Gesichter der Trauer – verschiedene Trauermodelle
  • Grundlagen in der Pflege sterbender Menschen, Kennenlernen von Pflegehilfsmitteln
  • Geschichte der Hospizbewegung, rechtliche Grundlagen
  • Grundlagen der Palliativmedizin
  • Begleitung demenziell erkrankter Menschen
  • Rechtliche Aspekte der Vorsorge (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung)
  • Rechtliche Aspekte der Bestattung und die Bedeutung von Trauerritualen.

 

Fortbildung

Im Rahmen der Hospizarbeit werden aus Anlass der Treffen der ehrenamtlichen Mitarbeiter auch immer wieder Vorträge zur Fortbildung angeboten. Darüber hinaus bieten Hospize für ihre Pflegekräfte Weiterbildungen an, die auch Ehrenamtlichen offenstehen. Ich habe im April d.J.  an einem zweitägigen Programm der Reihe „Kommunikation ohne Worte“ teilgenommen. DasTraining dauert dreimal zwei volle Tage.  Website hier__

Ausbildungsinhalte waren: „Grundlagen des nonverbalen Diakogs“ sowie „Patientengerechte und ressourcengerechte Interaktion“. Wie nähert man sich einem Gast im Hospiz, dessen Wahrnehmungsfähigkeiten bereits eingeschränkt sind; wie gewinnt man Blickkontakt – eine Frage, die z.B. bei Gästen mit Demenz nicht einfach zu beantworten sein kann. In welcher Weise kann und darf man Berührung zur Kontaktaufnahme und Kommunikation einsetzen? Wie können Gesten die Kommunikation unterstützen u.v.m.  Zwar spielte nonverbale Kommunikation in meinem Beruf immer eine große Rolle, wenn ich Gesprächspartnern gegenübersaß. Hier aber ging es um einen gänzlich anderen Anwendungsbereich. Ich habe in diesen zwei Tagen – auch durch die Fragen und Diskussionsbeiträge der Pflegekräfte – viel gelernt! Dr. Astrid Steinmetz war hier die gleichermaßen hoch kompetente wie hoch engagierte Leiterin des Seminars.

 

Spenden erwünscht: Diakonie-Hospiz in Wannsee.

Foto: Kahle

Diakonie-Hospiz-Wannsee

Sterbebegleitung – Die Praxis

Die beste Begründung für diese Arbeit als ehrenamtlicher Hospizhelfer, Sterbebegleiter liefert immer wieder die Praxis. Meine erste sehr intensive, Begleitung habe ich geradezu als ein Musterbeispiel für diese Tätigkeit empfunden. Im zweiten Halbjahr 2019 war dies die Begleitung von Heinz Heinrich (Name geändert.), der an einem Gehirntumor erkrankt war. Nach seinem Tod bat mich seine Witwe, über diese Zeit in einer kleinen Ansprache bei der Trauerfeier zu berichten. Das tat ich sehr gern, Die Witwe hat der Veröffentlichung an dieser Stelle zugestimmt, weil sie, wie sie mir schrieb, „den offenen Umgang mit dem Thema Krankheit und Tod sehr wichtig“ finde. Mein Text sei „ein Beispiel dafür, wie wichtig und wohltuend liebevolle Begleitung in diesen Phasen ist.“

Praxisbericht: Sterbebegleitung konkret

 

 

Sterbebegleitung konkret – ein Praxisbericht

Ingo Kahle ©: Ansprache bei der Trauerfeier der Familie Heinrich (Name geändert), Januar 2020

 Liebe Familie Heinrich, liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde.

Mein Name ist Ingo Kahle. Ich gehöre zum Team der Ehrenamtlichen im Diakonie-Hospiz Wannsee und habe Herrn und Frau Heinrich  im letzten halben Jahr „begleitet“, wie wir sagen. Frau Heinrich hat mich gebeten, heute hier über diese Zeit zu berichten. Ich betrachte das als eine große Ehre. Ihre Bitte, Frau Heinrich, zeugt von dem großen Vertrauen, das wir von Anfang an zueinander gefunden hatten.

Es ist aber auch eine Herausforderung. Ich bin nahe am Wasser gebaut. Viel wichtiger aber: Eine solch schwere Erkrankung, wie jene, unter der Herr Heinrich litt (Glioblastom, in der Ansprache nicht genannt), bringt eine Reihe von – vorsichtig formuliert – körperlichen – bei ihm glücklicherweise nicht geistigen – „Beeinträchtigungen“ mit sich, welche en Detail zu schildern die Würde des Verstorbenen verletzten könnte.

Ich besuchte Herrn und Frau Heinrich in der Regel einmal pro Woche. Herr Heinrich und ich sind dann immer mit dem Rollstuhl „ausgeritten“. Ich habe in dieser Zeit sämtliche Cafés in einem weiten Umkreis von seinem Haus kennengelernt. Er trank, halb Wahl-Italiener, der er war, immer Espresso und aß sehr gern Eis.

Meine Schilderungen unter verschiedenen Stichworten:

  1. Leben bis zuletzt.

    Dies ist ein Motto aus der Hospizbewegung. Herr Heinrich durfte das genau so erleben, inklusive Opernbesuche – und zuletzt noch Mitte Dezember – Konzertbesuch. Er wusste sehr genau und sagte es mir auch, wem er dies zu verdanken hatte: seiner Frau und seinen engen Freundinnen und Freunden.

Stichwort Würde, ein winziges Detail, das zeigt, wie er versuchte, Normalität zu wahren: Wenn wir in einem Café angekommen waren, fragte ich immer, ob er im Rollstuhl sitzenbleiben oder auf einen Stuhl oder eine Bank wechseln wolle. Er wollte bis auf eine Ausnahme, die ich noch erwähnen werde, immer aus dem Rollstuhl heraus, auch wenn er danach auf einem noch so wackeligen Gartenstuhl saß.

  1. Wir sind Erinnerung und wir schaffen Erinnerungen.

    Wir Ehrenamtlichen hatten gerade Mitarbeiterversammlung. Dabei gjbt es jeweils ein Ritual: Es wird zunächst derer gedacht, die im zeitlichen Zusammenhang unserer Arbeit gestorben sind. Wer etwas mit einem Namen verbindet, darf dann auf einem eigens hergerichteten Tisch eine Kerze entzünden. Als der Name Heinrich fiel, schoss geradezu neben mir ein Herr in die Höhe, noch bevor ich auch nur „piep“ sagen konnte. „Ja, für Herrn Heinrich möchte ich eine Kerze anzünden. Er war der Schuldirektor meiner drei Kinder.“Als wir einmal in dem „Schülercafé“, so nannte er es, saßen, gleich gegenüber einem Gymnasium, sprachen wir über dies und das, aber er war eigentlich gar nicht bei mir. Das ist nicht schlimm, ich nehme mich dabei nicht wichtig. Er beobachte dort die ganze Zeit die Schülerinnen und Schüler. Wir sprachen anschließend darüber, wie sehr er den Lehrerberuf, dieses Privileg, immer mit jungen Menschen arbeiten zu dürfen, geliebt hat.

  2. Fürsorglichkeit

    Wir saßen in der schönen, herbstlichen Abendsonne in einem kleinen Eiscafé. Ich fragte bei unseren Begegnungen immer: Wie ist die Tagesform? (Unter Sportlern, er hatte immerhin eine Marathon-Bestzeit von 3:30 Stunden. Meine liegt bei 3:04 Stunden. Jetzt schiebe ich ihn im Rollstuhl über seine alten Trainingsstrecken im Bezirk. Es gibt hier keinen Kausal-Zusammenhang.) Ich fragte außerdem immer: Was bewegt Sie im Moment besonders, gibt es Gedanken, die Sie mit mir teilen möchten? Ja, er mache sich große Sorgen, dass er seine Frau zu stark belaste. Besonders nachts, wenn er mehrfach wach werde, nicht allein auf die Toilette gehen könne und nach ihr rufen müsse. Diese Schlaflosigkeit belaste sie sehr. Er überlege deshalb, ob er in ein Hospiz gehen solle. Das sei ein guter Gedanke, erwiderte ich. „Er zeugt von der Fürsorglichkeit für Ihrer Frau. Sie lieben sie sehr, nicht?“ „Ja.“ (Sie kennen sich fast 50 Jahre.) Ich sei sicher, ergänzte ich, dass Ihnen Frau Dr. Penner, die Palliativ-Ärztin, beim Bestimmen des Zeitpunktes, von dem an dies hilfreich oder gar notwendig sein werde, behilflich sein werde.  Jetzt möge er die gewohnte häusliche Umgebung noch genießen, meinte ich.
    Ich spreche ja aus Erfahrung, erwähnte ich, was er schon wusste. Ich habe meine Frau zwischen Diagnose – Lungenkrebs, Nichtraucherin – und ihrem Tod fünf Monate lang zu Hause gepflegt. Wenn man das tue, sagte ich, sei das der Ausdruck höchster Liebe, die man einem Menschen geben könne. Dies verleihe einem ungeahnte Kräfte und ich sei sicher, dass seine Frau diese ebenfalls habe  und auch gern aufbringen werde.

  3. Kräfte haben Grenzen.

    Aber natürlich haben Kräfte Grenzen. Ich hatte Frau Heinrich angeboten, sie einmal allein – vielleicht bei einem Spaziergang – zu treffen, damit auch sie über ihre momentanen Empfindungen sprechen könne. Wir spazierten etwa eineinhalb Stunden durch unseren Bezirk natürlich spielte das Thema Belastungen dabei eine große Rolle. Ich sagte ihr dasselbe – wie eben zitiert – . ihrem Mann: Ausdruck höchster Liebe, ungeahnte Kräfte… Frau Heinrich sprach nicht nur davon, dass sie sich gar nicht vorstellen könne, dass ihr Mann einst nicht mehr bei ihr sein werde, sondern äußerte auch, dass sie sich ebenso wenig vorstellen könne, ihn in ein Hospiz zu geben. „Schiebe ich ihn dann nicht einfach ab?“ Ich berief mich wieder auf meine Erfahrung: Ich könne jede und jeden in häuslicher Pflege verstehen, die oder der sage: „Ich schaffe das nicht. Das übersteigt meine Kräfte!“ Der Gedanke an ein Hospiz habe für mich, nachdem ich diese Arbeit begonnen habe, seinen früheren Schrecken gänzlich verloren. Noch zwei Tage, bevor Herr Heinrich ins Hospiz zog, äußerte Frau Heinrich in einem Telefonat erneut diese Bedenken, ihr Mann könne meinen, sie schiebe ihn jetzt ab. Ich sagte ihr, ich sei nicht nur sicher, ihr Mann werde dort sehr gute Bedingungen vorfinden. Wir hatten uns ja das Hospiz in Wannsee gemeinsam angeschaut und beide hatten die Atmosphäre dort als sehr angenehm empfunden. Deshalb werde ihr Mann dort zur Ruhe kommen, auch, weil er sich dort keine Sorgen mehr machen müsse, seine Frau zu überfordern. Sie, Frau Heinrich, würden von den wachsenden pflegerischen Aufgaben entlastet. Die Zeit, die Sie dann gemeinsam miteinander hätten, wenn Sie ihn besuchen, sei dann gewissermaßen „Quality-Time“.

  4. Träume und Ängste.

    Im Sommer hatte Herr Heinrich Angst, seinen 75. Geburtstag am 28. September nicht mehr erreichen zu können. Ich machte ihm Mut, indem ich sagte, dass Schwerstkranke oft besondere Kräfte entwickeln, weil sie bestimmte Ereignisse, Daten noch erleben möchten. Er hat den Tag, die große Feier, als etwas Wunderbares empfunden und übrigens nicht davon gesprochen, dass das sein letzter Geburtstag gewesen sein könnte. „Ziele setzen!“, bestärkte ich ihn und er sagte, vielleicht könne er doch älter werden als manche in seiner Verwandtschaft.Einmal, auf einem zweieinhalbstündigen Spaziergang in wunderbarer Herbstsonne, sehr schön am Kanal entlang, fragte ich wieder: Gedanken, die Sie mit mir teilen möchten? Ja, er habe heute Nacht vom Paradies geträumt. „Ach, das müssen Sie mir beschreiben, wie sah es dort aus?“ „Sehr schön, sehr warm, alles in warmen Farben!“ „Sind Sie auch, wie Menschen mit Nah-Tod-Erfahrungen berichten, durch einen dunklen Tunnel gegangen, an dessen Ende in gleißendem Licht ihnen bekannte Menschen standen, die vor ihnen gestorben waren?“ „Ja, so ähnlich, aber das Erwachen war eben schrecklich. Deshalb geht es mir heute nicht so gut.“ Von Frau Heinrich wusste ich, dass ihr Mann das Thema Sterben nicht offen ansprechen mochte. Das war eine Gelegenheit dafür. Ich glaube, ich habe ihm erzählt, dass ich die bekannte Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich – damals 93 Jahre alt – im Interview gefragt hatte, ob sie Angst vor dem Sterben habe. Sie verneinte das, schränkte aber ein, dass sie ja nicht wisse, wie es sei – wörtlich – „wenn ich ihn erlebe oder nicht erlebe.“ (Im Nachhinein sei hinzugefügt: So wie Woody Allen äußerte, er habe keine Angst vor dem Tod, Hauptsache, er müsse ihn nicht erleben.) Herr Heinrich fragte mich daraufhin, wie das denn sei, wenn man stürbe. Ich erwiderte, ich hätte es bei meiner Frau und bei meiner Mutter erlebt, aber deshalb sei ich – trotz unserer Ausbildung – ja kein Experte dafür. Im Hospiz hat man mir mal erzählt, ein Mann sei auf die Terrasse gegangen, habe eine Zigarette geraucht, sich anschließend ins Bett gelegt und sei gestorben. Ich sei sicher, sagte ich, dass – bewirkt auch durch eventuelle Gaben von Morphin gegen Schmerzen – er dereinst gewissermaßen in einen Dämmerzustand geraten und ganz friedlich einschlafen werde.  So kam es dann ja auch. „Sie müssen, denke ich, keine Angst vor dem Sterben haben. Entscheidend ist, wie Sie das bewältigen, was jetzt ist und was möglicherweise noch kommen könnte. Manche Menschen ertragen das besser als andere, wenn sie meditieren. >Spiritual Care< nennt man das in der Palliativmedizin.

     

  5. Wendepunkt

    Der 16. Dezember. “Ausritt“. Im kleinen Café in der Einkaufsstraße verließ er diesmal den Rollstuhl nicht. Es war schon dunkel. „Wollen Sie noch etwas spazieren gehen?“ „Ja!“ Wieder waren wir insgesamt fast zwei Stunden unterwegs. Aber dieser Abend nahm einen schwierigen Ausgang. Herr Heinrich schaffte es auch mit Unterhaken nicht, die wenige Stufen von seinem Garten in den Wintergarten seiner Wohnung zu erklimmen. Da war nichts mehr mit – wie eine der 24/7-Helferinnen im Haushalt, die Ungarin, immer sagte – „Bein hoch!“ Die Beine versagten den Dienst. Ich denke, jeder der Beteiligten hat an diesem Abend gespürt, dass das ein Wendepunkt sein könnte und ja wohl auch war. Herr Heinrich bedankte sich sehr herzlich und drückte meine Hand recht fest und länger als sonst.

  6. Abschied
  7. Hospiz am 3. Januar. Aussegnungszeremonie. Herr Heinrich lag aufgebahrt in seinem Bett, ein sehr friedliches Bild. Nach dem „Vater unser“ fragte der Herr vom Hospiz: Herr Heinrich sei ja auch für die Mitarbeiter des Hospizes überraschend gestorben – am fünften Tag seines Hospizaufenthaltes. „Gibt es denn etwas, das deshalb möglicherweise ungesagt geblieben ist und hier geäußert werden kann und sollte?“ – Ich hatte nicht den Eindruck. Frau Heinrich sprach den Satz, der mir in Erinnerung bleiben wird: „Er war einfach ein lieber Mensch.“
  8. Ich habe viel gelernt.
    Dazu gehört, dass bei Schwerstkranken der Tod eine Gnade sein kann, die einem das Leben gewährt.
    Ich lernte – wobei es dieser Lehre eigentlich gar nicht bedurfte – es nicht als selbstverständlich anzusehen, nicht einmal am Lebensende, Zeit mit meinen Enkeln verbringen zu dürfen. Herr Heinrich hinterlässt vier in Bonn lebende Enkelkinder. Wenn ich über die Zeit mit meinen Dreien ins Schwärmen geriet – ich neige – wie ich denke zurecht dazu – wurde Herr Heinrich sehr traurig. Das spürte ich, da musste er gar nicht viele Worte machen, hat er auch nicht.

Liebe Frau Heinrich: Ich habe in diesem halben Jahr von Ihnen und Ihrem Mann sehr viel tiefe Dankbarkeit erfahren. Das hat mir gutgetan. Deshalb schließe ich mit den Worten: Danke, dass ich Sie beide begleiten durfte.

Im Diakonie-Hospiz Wannsee

Im Diakonie-Hospiz-Wannsee, dem ich für das Foto danke.

NEU im Blog!

„Über Sterben und ewiges Leben“

Ausserdem ausführliche Praxisberichte

In meinem Blog finden Sie – NEU! – eine Betrachtung über das Sterben anahnd der Ausstellung „un_endlich“ in Berlin sowie zwei ausführliche Beiträge über Sterbebegleitungen:

„Über Sterben und ewiges Leben – Erkenntnisse und Gedanken
„Tschüss!“ – Eine Sterbebegleitung,

und
„Tschüss!“ – Eine Sterbebegleitung (2): Lucy geht von uns. 

Die Praxisberichte sind bewegend, emotional und zugleich essayhaft reflektierend über diese Tätigkeit als Hospizhelfer, Sterbebegleiter. Geeignet füe alle, die sich für diese Arbeit begeistern wollen.

Blumen für Lucy

Foto: Ulrich Horb

In memoriam Paul Glaser.
Meine Begegnungen mit dem Berliner Fotojournalisten hier.

„un_endlich. Leben mit dem Tod“

Ausstellung im Humboldt Forum Berlin, 1- April bis 26. November 2023,

Eine ausführlich Betrachtung anhanmd dieser sehenswerten Ausstellung im Humboldt Forum im Berliner Schloss finden Sie in meinem Blog. „Über das Sterben“. hier  
Nach zwei Rundgängen durch diese sehenswerte Ausstellung im Humboödt Forum im Berliner Schloss finde ich: Die Grndidee funktioniert. „un_endlich“ will keine Ausstellung im herkömmlichen Sinne sein, sondern ist in der Tat ein „emotionales Gesamterlebnis, gestaltet als „Drama in fünf Akten“, wie der Schweizer Kurator Detlef Vögeli sagt, inszeniert von den beiden theatererfahrenen, Londner Ausstellungsdesignern und -architekten Tom Piper und Alain Farlie. „un_endlich“ ermöglicht eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben. Beispiel: In einer schwarz ausgekleideten, mit LED-Leuchtpunkten einem Sternenhimmel gleich  erhellten Kabine erklärt eine sanfte Frauenstimme, was im finalen Moment des Sterbens im Körper und vor allem im Gehirn passiert. Der Schlusssatz wirkt zunächst beklemmend: „Jetzt bist Du tot.““ Aber andererseits empfand ich nach den Rundggängen durchaus, was Detlef Vögeli als Ziel der Ausstellung ausgibt: „keine Angst vor dem Tod zu haben, sondern ihn  als Teil des Lebens zu betrachten – als Theater des Lebens.“ 

"un_endlich" - Ein Rundgang

Ein Rundgang durch „un_endlich“

Eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Leben und Tod geht nicht mal eben im Schnelldurchgang durch diese Ausstellung. Schon der erste Raum nach dem Einführungsfilm, gewissermaßen in Zelte aufgeteilt, lädt zum Verweilen und Zuhören ein. Aus unterschiedlichen religiösen, kulturellen und auch einer forensisch-wissenschaftlichen Perspektive lernt man Sichtweisen auf das Thema kennen – wenn man nicht nur in einem „Zelt“ zuhören möchte. Die Räume sind – als Assoziation ans Theater – durch Vorhänge voneinander getrennt, man geht also von Akt zu Akt, von Vorhang zu Vorhang.

Prolog

Der Rundgang beginnt alle Viertelstunde mit einem Film. „Kosmos – Woher kommen wir?“ Dann wird eine Tür erleuchtet, die in den ersten Raum führt.

 

Akt 1

 Hier gibt es verschiedene „Zelte“, in denen man sich einfach mal hinsetzen und kurzen Erzählungen lauschen kann. Überschrift: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“
Diese Stimmen sind  zu hören:
Vívanathan Krishnamurthy, Mitbegründer Sri Ganesha Tempel Berlin
Esther Hirsch, Kantorin in der Sukkat Synagoge Berlin
Félix Ayoh’Omidire, Professor für die Yaruba Diaspora
Jasmin El-Manhy, Gemeindepfarrerin an der Samariter-Kirche Berlin-Friedrichashain
Emil Kenziorra, Geschäftsführer Tomorrow Biostatis GmbH. Da geht es um Kryokonservierung. Lassen Sie sich nach dem Tod für späteres Weiterleben – das jetzt noch nicht möglich ist – einfrieren! Im Zelt hängt eine Bahre mit einem Schlafsack an der Wand. Der zum Transport bis zum Einfrieren dient. Mehr dazu hier__
Kadir Sanci Imam in Berlin..
Mark Benecke, Kriminologe. Sehr spannend! Was passiert unter welchen Umweltbedingungen mit einer Leiche?

Die kleinen Monitore zeigen an, wer hier spricht. Das „Bitte warten“ müssen Sie nicht beachten, Sie merken schon, wann es wieder von vorn losgeht und Sie an der Stelle sind, an der Sie eingetreten sind. 

 Diese Zusammensetziung zeigt das Bemühen des Humboldt Forums, sich in der Stadtgesellschaft zu verankern.

Sterbebegleiterinnen, die zuerst Mark Benecke zuhörten, meinten danach, dass sie sich aus ökologischen Gründen nach ihrem Ableben wohl doch nicht verbrennen lassen wollten, weil dabei viel Energie nötig ist und der Natur kaum etwas zurückgegeben werden, gamz im Gegenteil dazu, wenn eine Leiche in die Erde kommt. Kryokonservierung stieß allenthalben auf Ablehnung.

Die Ausführungen von Kadir Sanci wurden von einer Sterbebegleiterin und Theologin, die ich durch die Ausstellung begleitete, als allzu „naiv“ bezeichnet. Ich kann dem Mann nicht zuhören, wenn er von der göttlichen Waage erzählt, auf der beim jüngsten Gericht  die guten und die schlechten Taten des Lebens mit der Konsequenz eines Weiterlebens entweder in der Hölle oder im Paradies erzählt. Ich denke so, wie es Jürgen Habermas einmal sagte, man müsse schauen, was Religion in einer Gesellschaft bewirke. Dann sehe ich die Mullahs im Iran vor mir, die im Namen des Islam für die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verantwortlih sind, die man sich vorstellen kann – neben dem vom orthodoxen russischen Christentum unterstützten Wladimir Putin.

Akt 2

 

Hier sehen Sie weiße Liegen. Legen Sie sich hin, setzen Sie ein Headset auf und nehmen Sie an einer Umfrage Teil!  Überschrift: „Sterbebetten“. Wie halten Sie es mit Sterben und Tod?“ Die Ergebnisse sehen Sie dann später auf einem Monitor im Raum des dritten Aktes.

Im nächsten Raum folgt die „Konferenz des Sterbens“. Auf einer Videowand sehen Sie eine simulierte Videokonferenz mit 12 Sterbebegleitern und –innen aus der ganzen Welt, aus unterschiedlichen Kulturen. Die Aussagen sind im Buch zur Ausstellung nachlesbar, einige Stimmen zitiere ich in dem Beitrag in meinem Blog. Hier__
Die Kuratoren haben leider nicht dafür sorgen wollen, uns zu verraten, welcher Herkunft – örtlich wie kulturell – diese Menschen sind. Ich habe das erst dem dem Buch entnommen.

Akt 3

Motto dieses Aktes: „Der finale Moment“.Für mich der Höhepunkt: „Tod. Gibt es Licht am Ende des Tunnels?“ Man läuft fast direkt auf den Monitor zu, der die Ergebnisse der Umfrage aus Akt 2 zeigt. Interessant, dass auf die Frage, ob man an ein Leben nach dem Tod glaubt, die Zahl der Antworten „Ja“ nur geringfügig die Zahl der „Nein“-Antworten übersteigt. Mir fiel ebenfalls auf, dass die Angst vor dem Sterben offenbar größer ist als die vor dem Tod an sich. Das mag daran liegen, dass die Menschen wissen, dass vor dem Sterben schwerste Krankheiten und damit ein langer Leidensweg liegen können. Diesen Aspekt zeigt die Ausstellung leider nicht. Sie konzentriert sich auch in diesem Raum auf den finalen Moment des Sterbens. Dort stehen schwarze Kabinen. Stellen Sie sich bitte auf einen Kreis davor. Wenn Sie angeleuchtet werden und zudem der Türrahmen erleuchtet ist, treten Sie ein und setzen Sie sich bitte auf den kleinen Hocker. Aus dem Lautsprecher hören Sie eine weibliche Stimme, die Ihnen erklärt, was mit Ihnen geschähe, würden Sie jetzt sterben. Wenn Sie mögen, lesen Sie zum Hintergrund ebenfalls den Beitrag in meinem Blog. Dort ist alles etwas ausführlicher beschrieben. Im Buch zur Ausstellung, erhältlich an der Kasse, 29 €, finden Sie ein Interview mit dem Berliner Schlaganfall-Forscher und experimentellen Neurologen Jens Dreier, auf das ich in dem Beitrag in meinem Blog ausführlich eingehe. Hier__Das Beitragsfoto zeigt  übrigens die Liegen für die Umfrage.

Als ich Sterbebegleiterinnen durch die Ausstellung führte, empfand eine diese Darstellung als zu schematisch, das habe sie vielfältiger erlebt. Eine kam heraus und sagte: „Hura, wir leben noch!“

Akt 4

Dies ist eine kleine Leichenhalle. Motto: „Was bedeutet Menschenwürde über den Tod hinaus?“ Gezeigt werden auf einem als Seziertisch  gestalteten Monitor – ohne Leichen – Rituale der Waschung und Einkleidung der Toten. Eine Schautafel informiert u.a. über die Rechtslage in Deutschland hinsichtlich von Bestattungen.

Es folgt ein sehr informativer Raum unter dem Motto: „Obduktion der globalen Sterbeverhältnisse.“ Das ist interessant: Weltweite Sterbestatistiken. Achten Sie zum Beispiel auf die Kinder- und die Müttersterblichkeit üher die Kontinente hinweg. Deutlich auch: die Haupttodesursache in der westlichen Welt – Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

In einem Zwischenraum beobachtet man die Arbeit von  Cristina Cattaneo, Leiterin des Labors für Anthropologie und forensische Odontologie in Mailand. Odontologie ist die Lehre vom Zahnsystem der Wirbeltiere. Frau Cattanero untersucht Leichen und Fundstücke von im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen, um ihre Herkunft und Ihre Identität zu ermitteln, auch um nach ihnen suchenden Angehörigen möglicherweise etwas über das Schicksal der Gesuchten sagen zu können. Nach meinen vier Rundgängen zu urteilen bleiben hier wenige Besucher sitzen.

In einem Übergang geht es um Trauer. Zu hören sind:
Seyid Dogan, Alevitentum
Mario Vázquez, mexikanischer Totenkult
Esther Hirsch, Judentum,
Levent Kilicogli, Islam
Bai Kushma, Sikh
Jasmin El-Manhy, Christentum.
Bimish Savant, Hinduismus.
Adébáyo Fátoki, Yorubá.

Der schwarz ausgekleidete, an sich spärlich beleuchtete Raum mit Sitzbänken gilt wohl auch unter den Ausstellungsmachern als misslungen, weil wegen der notwendigen Orientierungsmöglichkeit der Besucher hier viel zu viel Licht einfällt. Ich habe nicht gesehen, dass da jemand sitzen bleibt.

Akt 5

 

„Was wird bleiben?“ Die Ausstellung folgt ja gewissermaßen dem Muster einer griechischen Tragödie. Dies wäre nun die Katharsis. Was der homo sapiens in seinr Umwelt anrichtet. Vor Spiegeln, in denen sich der Betrachter sieht, jeder ist also ein Akteur in diesem Prozess der Weltentwicklung, stehen Ausstellungsstücke aus der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums von ausgestorbenen oder aussterbenden Tieren. Eine Sterbebegleiterin fühlte sich an ihre Schulzeit in Bayern erinnert, in der im Biologieraum eine Reihe von derartigen Gläsern mit in Formalin konservierten menschlichen Körperteilen oder Organen gesammelt waren, die es zum Bio-Unterricht jeweils in den Klassenraum zu transportieren galt. Offenbar keine schöne Erinnerung. Aber gut. Viele Menschen kennen natürlich das Naturkundemuseum und den großen Saal mit dieser Sammlung.

Ausklang: Irdische Biosphäre

 Im vorletzten Raum sollten Sie sich einfach mal auf die Kissen am Boden legen und an die Decke schauen. Motto: „Kosmos Biosphäre. Sinfonie des Werdens und Vergehens“. Das ist nicht nur ein erholsamer, sondern auch zu vielen Phantasien über den Verlauf der Erdgeschichte anregender Abschluss. Jedenfalls ist es so gedacht. Ein Künstler hat hier einen Film zusammengebastelt, der gewissermaßen in ein engmaschiges, reflektierendes Netz projiziert wird. Man sieht ein in Wasser waberndes Ensemble von Lebewesen aus der irdischen Biosphäre, bestehend aus Schimmelpilz, Bakterien Amöben, Larven, Algen, Protozonen. (Lebewesen, die in großer Zahl in Süß- und Salzwasser sowie am Boden leben.)

Ich fand das ganz nett und ein wenig inspirierend, aber ich sah dort kaum jemanden liegen.

Im folgenden, wie eine zum Verweilen eingerichtete Bibliothek gestalteten Raum ist Gelegenheit, alle Eindrücke und Einblicke erst einmal sacken zu lassen.

Seien Sie also gespannt!

Auf die Frage, ob die Ausstellung auch Jugendlichen empfohlen werde und wenn ja, ab welchem Alter, berichtete ein Kurator einer Gruppe von Sterbebegleiterinnen von der Zusammenarbeit mit der Björn-Schulz-Stiftung, die auch Kinderhospize betreibt. Deren Fachleute hätten empfohlen, Kindern ab einem Alter von zwölf Jahren einen Ausstellungsbesuch zuzutrauen. Ich wurde Ohrenzeuge der abschließenden Worte eines Mitarbeiters der Humboldt Stiftung, der eine Gruppe von Jugendlichen druch die Ausstellung geführt hatte und ihnen auf den Weg gab, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod dazu führen möge, ihr Leben bewusster zu führen. Und die älteren Menschen? Auf die Frage, wem wir Sterbebegleiter die Ausstellung weiterempfehlen würden, sagte eine Teilnehmerin meiner Führung: „Meinen Eltern!“

In der Ausstellung "Un_endlich - Leben mit dem Tod" im Berliner Humboldt Forum. Foto: Laura Schierholz

Foto: Laura Schierholz

„Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“ – Umfrage in der Ausstellung.

Palliativmedizin und „Sterbehilfe“

Im Jahr 2014 habe ich in „Zwölfzweiundzwanzig“ mit Prof. Gian Domenico Borasio (*1962 in Novara, Italien) gesprochen. Er lehrte bis 2011 Palliativmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2011 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Universität Lausanne und leitet am dortigen Universitätsspital die Abte für Palliative Care. Er ist einer von Europas führenden Palliativmedizinern. Wir sprachen über sein Buch „Selbst bestimmt sterben“. Dieses Interview habe ich sehr, sehr gern geführt – inhalltlich, aber auch weil Prof. Borasio ein toller Gesprächspartner ist. Er berichtet darin von seinen Erfahrungen mit sterbenden Menschen und es ging auch um das Thema Sterbehilfe. Dieses Gespräch hat sehr zu meiner Motivation beigetragen, nach meinem Ausscheiden aus dem Beruf ehrenamtlich als Sterbehelfer zu arbeoten, weshalb ich es auf dieser Seite präsentiere. Das Gespräch fand 2014 statt. Damals wie heute wieder ging es um eine gesetzliche Releung der so genannzten Sterbehilfe. Dazu liefert dieses Gespräch noch immer gute Argumente.

"Sterbehife" aktuell

Zur aktuellen Debatte…

…und was dieses Gespräch mit Prof. Gian Domenico Borasio dazu noch immer beiträgt.

Dieses Gespräch fand 2014 statt, also vor der Neuregelung der s.g. Sterbehilfe durch den Deutschen Bundestag und vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2020. Die Karlsruher Richter hatten das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ für verfassungswidrig erklärt. Aus dem Grundgesetz leitet das BuVerfGE „ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ ab, das die Freiheit einschließe,  „„sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.“ (Siehe hier…)  https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-012.html   Nach diesem Urteil muss der Deutsche Bundestag die s.g.Sterbehilfe also neu regeln. Für diese Debatte bietet das Gespräch nach wie vor wichtige Hinweise und Argumente.

Prof. Borasio wendet sich gegen den Begriff „Sterbehilfe“, weil niemand genau wisse, was sich dahinter verberge. Es gebe ihn nur in der deutschen Sprache, nicht in der englischen, der französischen oder der italienischen. Er sei zudem historisch sehr belastet. Setze man „Sterbehilfe“ mit „Euthanasie“ gleich, löse das sogleich „schreckliche Ängste“ aus. Man könnte, so Borasio, die gesamte Palliativ- und Hospizarbeit „ja auch als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnen, „aber der Begriff ist ganz anders belegt.“ Die juristische Debatte habe mit ihren Begriffen für viel Verwirring gesorgt.

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Aktuelle Debatte

Im Deutschen Bundestag werden gegenwärtig drei verschiedene Gesetzentwürfe, jeweils eingebracht von Abegeordnetn verschiedener Parteien, diskutiert. Sie sollen die „Sterbehilfe“ regeln, nachdem das Bundesverfassungsgericht die geltende Rechtslage als verfassungswidrig verworfen hatte. Mehrere Professoren haben in einem Gastbeitrag für die FAZ die Frage aufgeworfen, warum es überhaupt einer neuen gesetzlichen Regelung bedarf. Das finde ich interessant. Den Link zu diesem Beitrag finden Sie hier  .

Die Auffassung, dass die Diskussion über Sterbehilfe eher eine der Phasrmaindustrie nutzende Phantmdebatte ist, man stattdessen lieber den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung in den Focus rücken sollte, vertritt Prof. Borasio in diesem gespräch. 

Contra aktive Sterbehilfe

Borasio wendet sich gegen die „aktive Sterbehilfe“, auch „Tötung auf Verlangen“ genannt und verweist zur Begründung auf die in den Niederlanden und Belgien „rasant gestiegenen Zahlen“. Es gebe nachweislich Fälle, in denen Menschen getötet wurden, obwohl sie das gar nicht gewollt hätten. Dann werde ein mitmaßlicher Wille konstruiert. Wenn eine Gesellschaft beginne, Menschen aufgrund von Mutmaßungen über deren Willen zu töten, „dann ist eine ganz gefährliche Grenze überschritten.“

Pro: Assistierter Suizid

„Es ist nicht notwenig, dass sich Menschen von einem Arzt töten lassen“, argumentiert Boradio. Wenn ein Mensch in einer Extremsituation am Lebensende, z.B. bei schwerer Krankheit, den „freiverantwortlichen Willen zur Lebensbeendigung äußern kann, dann kann er auch selbst diesen Willen bis zum Ende führen –  mit einem assistierten Suizid, bei der Hilfe zur Selbsttötung, bei der der Patient bis zum Schluss die so genannte ‚Tatherrschaft’ beibehält, sich also bis zum Schluss auch anders entscheiden kann.“ Die Suizidassistenz soll nach Borasio, der mit anderen seinezeit einen Gesetzentwurf vorgelegt hatte, „allgemein verboten“ sein – mit zwei Ausnahmen: Suizidassistenz sollte Angehörigen und nahen Bezugspersonen und „unter ganz strengen Bedingungen“ auch Ärzten erlaubt werden. Zwei Ärzte müssten den Patienten untersucht und „lebensorientiert“ über Alternativen aufgeklärt haben, „insbesondere Palliativmedizin.“ Zudem müsse es die „klare Diagnose einer zum Tode führenden Krankheit mit begrenzter Lebenserwartung“ und für den Patienten eine Bedenkzeit gebe, in welcher er sich über Alternativen informieren könne.

Beispiel US-Bundesstaat Oregon

Dieser Entwurf lehne sich an die langjährige Regelung im US-Bundesstaat Oregon an, in welchem die Zahl der assistierten Suizide stabil bei zwei Promille bleibe. Außerdem habe man dort eine „ganz spannende Beobachtung“ gemacht: Von den etwa 120 Menschen, die pro Jahr dieses „sehr strenge und aufwändige Verfahren durchlaufen“, an dessen Ende die Verschreibung einer tötlichen Substanz durch den Arzt steht, nehmen mehr als ein Drittel diese Substanz gar nicht ein und sterben eines natürlichen Todes. „Mit anderen Worten: Mit einer solchen Reglung verhindert man Suizide, weil die Menschen etwas haben, was ich als ‚Sterbeversicherung’ bezeichne. Also alleine die Möglichkeit, dass man weiß, dass man im Extremfall auch so eine Möglichkeit hätte, nimmt den Menschen ganz viel Angst. Dann ist die Diskussion über das Lebensende viel ruhiger, viel weniger emotional aufgeladen, weniger ideologisch. Das kann ich aus dem Vergleich zwischen der Schweiz, wo ich arbeite und Deutschland, wo ich immer noch arbeite, sehr gut beobachten.Hinzugefügt sei, dass die Möglichkeit zum assistierten Suizid nur für Einwohner Oregons gilt. Ein massenhafter Zuzug nach Oregon von Bürgern anderer Bundesstaaten, die einen assistierten Suizid wünschen, wird nicht festgestellt.

 Entschuldigung, noch Leben zu wollen?

 Es dürfe kein Druck auf pflegebedürftige Menschen, etwa Demenzkranke,  ausgeübt werden, einen assistierten Suizid wahrzunehmen, sich womöglich entschuldigen zu müssen, dass sie weiterleben möchten. DIe Praxis in Orgeon mit der klaren Begrenlung habe nicht zu einem erhöhten sozialen Druck auf pflegebedürftige Menschen geführt. In den Niederlanden sehe er diese „sehr gefährliche“ Tendenz zu einer „schiefen Ebene“ allerdings, also zu einer Ausweitung der Suizidhilfe auf Minderjährige, auf Hochbetagte, auf psychisch Kranke. Sein Gesetzentwurf sei deshalb „ein „Bollwerk gegen die Einführung der Tötung auf Verlangen.“

Sterbehilfe „ein marginales Problem“

 

Die langjährig stabilen Zahlen aus Oregon – Stand 2014 – würden auf Deutschland umgerechnet weniger als 2000 assistiert Suizide pro Jahr bedeuten. Wenn sich in einer Umfrage der Bundesärztekammer aber mehr als 100.000 Ärzte grundsätzlich dazu bereit erklären, würde das bedeuten, dass jeder dieser Ärzte 50 Jahre praktizieren müsste, um im Schnitt ein einziges Mal gebeten zu werden, einen solchen Wunsch zu erfüllen, rechnet Borasio vor. Darin sehe er keinen „ethischen Untergang des Abendlandes“..

 

Wichtigeres Thema: Übertherapie am Lebensende

Man müsse dagegen viel mehr über die „Übertherapie am Lebensende“ reden, „die uns alle mit einhundert Mal höherer Wahrscheinlichkeit betreffen wird als die Frage des assistierten Suizids.“ Die wirklichen Probleme am Lebensende lägen „ganz woanders“. Die Gesellschft müsse sich fragen, „was uns die hochbetagten, schwerkranken, pflegebedürftigen, großteils dementen Menschen wert sind, die wir alle einmal sein werden.“ Dafür brauche man ein Umdenken in der Medizin, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt stelle; „Wir brauchen eine hörende Medizin“. Seine Hoffnung sei, dass uns die Debatte über den assistierten Suizid in dieser Hinsicht ein Stück weiter bringe. „Dann und nir dann wird sie ihren Sinn gehabt haben.“

Zur konkreten Bedeutung des Begriffs „Übertherapie am Lebensende“ empfehle ich das Gespräch mit Michael de Ridder auf dieser Seite.

Krankenhaus Waldfriede, Berlin.

Foto: Kahle

Palliative Care: In Kliniken und Hospizen.
Hier: Krankenhaus Waldfriede Berlin.

Keine Übertherapie am Lebensende!

Michael de Ridder ehemaligen Leiter der Rettungsstelle im Berlin-Kreuzberger Urban-Krankenhaus ist hier im Gespräch in „Zwölfzweiundzwanzig“ über sein Buch: „Wie wollen wir sterben?“ Nach Erscheinen dieses Buchs nannte ihn der stern  Deutschlands berühmtesten Notarzt.“ Als seine Devise bezeichnet er: „Leben retten. Aber auch das Sterben zulassen.“ Seine Forderung: „Schluss mit der Vorstellung von der Allmacht der Medizin.“ In seiner ärztlichen Praxis habe er sich immer wieder die Frage stellen müssen: „Wann darf der Mensch denn sterben?“ In seinem Buch schreibt er: „Es gibt für mich keinen größeren Kunstfehler, als den Sterbeprozess zu verkennen. Medizin ist doch nicht dazu da, das Sterben grundsätzlich zu verhindern. Medizin ist dazu da, vorzeitiges und qualvolles Sterben zu verhindern. Der für mich zentrale Begriff ist das Patientenwohl. Nur daran muss ich mich als Arzt orientieren. Wenn ich nicht mehr kurieren kann, muss ich palliativ behandeln und begleiten. Letzteres ist ein dem kurativen Auftrag gleichwertiger Teil des ärztlichen Auftrags.“ 2015 erschien Michael de Ridders zweites Buch: „Welche Medizin wollen wir?“

Gevatter Tod? - Foto: Kahle

Foto: Kahle

Gevatter Tod? Graffiti in Berlin.

Vom Segen der Hospize

Grundsätzlich: In den Hospizen werden Menschen am absehbaren Lebensende engagiert und liebevoll betreut. Der Betreuungsschlüssel ist deutlich besser als in Krankenhäusern. Die Pflege schwerstkranker Menschen in der häuslichen Umgebung kann Menschen an die Grenze ihrer Kräfte bringen. Der Vorteil für die Hospiz-Gäste und ihre Angehörigen ist, dass letztere von den pflegerischen Aufgaben befreit sind und somit beide die meist wenige verbliebene Lebenszeit des geliebten Menschen gemeinsam in Ruhe genießen können. Ja, es gibt vielfach eine Scheu vor dem Gedanken, einem nahen Angehörigen ein Hospiz zu empfehlen. Man will niemanden „abschieben“, heißt es dann. Aber diese Scheu ist gänzlich unbegründet! Oft geht es den Erkranlten insofern besser, als sie einen nahen Angehörigen von der belastenden pflegerischen und organisatorischen Arbeit entlastet sehen. Kontaktadressen finden Sie hier.

Hospiz-Beratung

Hospiz-Informationen

Es ist sehr wichtig, sich rechtzeitig über die Mögllichkeitenm die Hospize bieten, zu informieren und sich gegebenenfalls auch frühzeitig bei einem oder mehreren anzumelden, um im Bedarfsfall schnell einen Platz zu erhalten.Sofern ein Palliativmediziner den Patienten regelmäßig zu Hause besucht, ist dieser selbstverständlich beim Kontakt zu einem Hospiz behilflich.

Ausführliche  Information zum Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes e.V. erhalten Sie hier.

Es gibt in Berlin eine Zentrale Anlaufstelle für Menschen, die sich und Angehörige über Hospize in Berlin informieren wollen.
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